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Kurzdarmsyndrom

Chronisches Darmversagen (Intestinal Failure)

Das chronische Darmversagen ist eine sehr seltene Erkrankung, die im Kindesalter in den meisten Fällen durch ein Kurzdarmsyndrom verursacht wird. Aufgrund des Darmversagens ist die Darmfunktion erheblich verringert: Die Absorption von Mikro- und Makronährstoffen, Wasser und Elektrolyten bleibt deutlich hinter dem erforderlichen Ausmaß für altersadaptiertes Wachstum und Entwicklung zurück. Beim Kurzdarmsyndrom sind Teile des Dünn- und Dickdarms aufgrund angeborener oder erworbener gastrointestinaler Erkrankungen oder fehlender Anlage verloren gegangen, was zu einer signifikanten Malabsorption führt. International fehlt eine einheitliche Definition. Spezialisten definieren das chronische Darmversagen als die Unmöglichkeit, den Bedarf an Nährstoffen (Eiweiß, Kohlenhydrate, Fette, Elektrolyte, Vitamine und Spurenelemente) durch die orale Nahrungsaufnahme zu decken. Die Kinder und Jugendlichen sind von parenteraler Ernährung abhängig. Das chronische Darmversagen stellt für betroffene Kinder und deren Familien eine physische und psychische Belastung dar. Die Lebensqualität der Betroffenen und deren Familien ist häufig beeinträchtigt.

Klassifikation des chronischen Darmversagens

Man unterscheidet drei anatomische Subtypen:

  • Kurzdarmsyndrom nach Resektion bzw. Verlust des mittleren Dünndarms. Der Dickdarm bleibt intakt, ein Teil des Ileums ist erhalten (bestes Potenzial für intestinale Adaptation).
  • Kurzdarmsyndrom nach Resektion des Dünndarms und Teil des Dickdarms mit enterokolischer Anastomose. Das terminale Ileum wurde entfernt.
  • Kurzdarmsyndrom nach Resektion des Dünndarms mit endständigem Dünndarmstoma; die Folge sind hohe Flüssigkeitsverluste (geringstes Potenzial für intestinale Adaptation).

Grundsätzlich gilt: Jejunumresektionen sind besser zu kompensieren als ausgedehnte Ileumresektionen; weder die mit der Nahrung aufgenommene Flüssigkeit noch die vom Jejunum sezernierte Flüssigkeit werden ausreichend resorbiert. Vitamin B12, Gallensalze und Fettsäuren werden nur eingeschränkt oder nicht resorbiert. 

Ursachen für ein chronisches Darmversagen

Im Kindesalter wird chronisches Darmversagen meist durch ein Kurzdarmsyndrom verursacht: Durch angeborene Erkrankungen oder erworbene Defekte müssen Dünndarmresektionen erfolgen. Dazu zählen:

  • Angeborene Erkrankungen / intrauterine Insulte, die zu einem Darmverlust führen.
  • Darmverlust aufgrund einer Ischämie (wie nekrotisierende Enterokolitis, Volvulus, Einklemmung bei Bauchwanddefekt, Thrombosen).
  • Seltene Ursachen (wie subtotale Aganglionose, Trauma oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen).

Mit einer Prävalenz von 30% ist die nekrotisierende Enterokolitis die häufigste Ursache für neonatales Darmversagen. In je 20 % entsteht das Kurzdarmsyndrom aufgrund von Volvulus, intestinale Atresie, Gastroschisis bzw. Trauma oder anderer seltener Ursachen (<10%).

Klinik

Die Symptomatik hängt ganz wesentlich von der Ursache des chronischen Darmversagens ab: Liegt eine angeborene Fehlbildung wie Bauchwanddefekt oder Atresie vor, entstand die Erkrankung direkt nach der Geburt beim Frühgeborenen (wie nekrotisierende Enterokolitits) oder in der Kindheit (wie Volvulus).

Je nachdem, welcher Darmabschnitt fehlt und wie viel Restdarm übrigbleibt, treten unterschiedliche Symptome und Komplikationen auf. Im Vordergrund stehen mangelndes Gedeihen, Durchfälle, Dilatation, Bauchschmerzen und Salzverlust. Die langzeitparenterale Ernährung kann lebensbedrohliche Komplikationen wie chronische Lebererkrankung (IFALD = Intestinal Failure Associated Liver Disease) und katheterassoziierte Infektionen verursachen. Jegliche septische oder ikterische (Gelbsucht) Episode muss ernst genommen und abgeklärt werden. Außerdem sind zur Kontrolle des klinischen Zustandes der Kinder die Bestimmung von Gewicht und Größe, um Wachstumsretardierung aufzuspüren, notwendig.

Vielfach entsteht beim Kurzdarmsyndrom eine ausgeprägte Dilatation des restlichen Dünndarmes, die sich durch einen dicken Bauch, hör- und sichtbare Peristaltik, Bauchschmerzen und Durchfälle aufgrund einer bakteriellen Fehlbesiedlung im Dünndarm bemerkbar machen.

Diagnostik

Die Diagnostik erfolgt immer nach einer Team-Besprechung. Die Art der Diagnostik hängt von vielen Faktoren ab, wie der Ursache, der verbliebenen Dünndarmlänge, der verbliebenen Dickdarmlänge, der Notwendigkeit einer langzeitparenteralen Ernährung und zentralen Venenkatheters sowie etwaigen Stomata.

In regelmäßigen Abständen (zweimal jährlich bei gut eingestellten Fällen) müssen laborchemische Kontrollen erfolgen. Neben Blutbild, Elektrolyten und den üblichen Leber- und Nierenparametern müssen auch Vitamine, Spurenelemente und Hormone bestimmt werden. Ferner ist die Harnanalyse von großer Bedeutung. Das chronische Darmversagen geht mit erheblichen Verlusten von Elektrolyten einher, die sich anhand der Harnanalyse nachweisen lassen.

Regelmäßig muss eine sonographische Untersuchung der zentralen Gefäße beim Broviac/Hickman erfolgen, um Thrombosen oder Fehllage des Katheters aufzuspüren. Ferner wird das Abdomen geschallt. Hier wird die Dilatation und Peristaltik des Darmes untersucht, die Leber und die Nieren auf Veränderungen überprüft.

Bei Hinweisen auf bakterielle Fehlbesiedlung ist eine Pan-Endoskopie (sowohl Speiseröhre, Magen, Zwölffingerdarm und Dickdarm) indiziert. Mit dieser Untersuchung kann auch ein GÖR (gastro-ösophagealer Reflux) bzw. Geschwüre im Dünndarm nachgewiesen werden.

Zur Bestimmung der Restlänge des Darmes sind manchmal Röntgenuntersuchungen (Magendarmpassage mit Verfolgung) bzw. eine Kernspintomographie (Hydro-MRT) notwendig.

Unser Behandlungskonzept

In unserem Zentrum behandeln wir chronisches Darmversagen interdisziplinär und interprofessionell. Ein Team aus pädiatrischer Gastroenterologie, Endokrinologie, Physiotherapie, Ernährungsberatung, Psychologie und Kinderchirurgie betreut alle Kinder und Jugendliche. Für Erwachsene haben wir eine Transitionssprechstunde gemeinsam mit der Endoskopie und Viszeralchirurgie eingerichtet. Die interdisziplinäre Rehabilitation führt bedeutend häufiger zur enteralen Autonomie.

Die Zusammensetzung und Art der oralen Therapie wird gemeinsam und multiprofessionell festgelegt und verfolgt. Ein Überfüttern des zu kurzen Dünndarmes führt zur Unverträglichkeit, die sich häufig in Dilatation der Darmschlingen, Erbrechen und/oder Durchfällen sowie Nahrungsunverträglichkeit äußert. Deswegen sollte die orale Zufuhr nie erzwungen werden. Zwangsnahrung endet meistens in oraler Aversion. Eine kontinuierliche Sondenernährung kann zur Dilatation des Dünndarmes und Transportproblemen mit Fehlbesiedlung führen. Die bakterielle Fehlbesiedlung stellt eine der größten Probleme in der Behandlung des chronischen Darmversagens dar.

Die Therapie des chronischen Darmversagens beinhaltet, neben der optimalen Symptomkontrolle und Nährstoffversorgung, ebenfalls die Vermeidung von Infektionen und anderen Komplikationen, die mit der Behandlung des chronischen Darmversagens einhergehen. Die optimale Adaption des Restdarmes hat die oberste Priorität, damit die intestinale Autonomie am Ende erzielt werden kann. Enterale Autonomie ist gleichbedeutend mit Lebensqualität für Patient und Familie.

Aufgrund großer Fortschritte in der Behandlung wie z.B. Teduglutide (GLP-2) hat sich die Prognose in den letzten Jahren deutlich verbessert. Es müssen nun nur noch sehr wenige Kinder transplantiert werden.

Vonseiten der Kinderchirurgie müssen Komplikationen vorangegangener Eingriffe, wie Stenosen, Fisteln, blinde Schlingen und anderes aufgespürt und mit rehabilitativen Eingriffen beseitigt werden. In manchen Fällen besteht eine ausgeprägte Dilatation des verbliebenen Dünndarmes mit einer ausgeprägten bakteriellen Fehlbesiedlung, die zu immer wiederauftretenden septischen Episoden führen. Durch „darmverlängernde“ Operationen kann der Durchmesser des Dünndarmes wieder normalisiert und die Fehlbesiedlung bekämpft werden. In unserem Zentrum führen wir zwei Verfahren regelmäßig durch: (1) das Longitudinal Intestinal Lengthening and Tailoring (LILT oder Bianchi-Prozedur) und (2) die Serial Transverse Entero-Plasty (STEP). Um festzustellen, ob eine Indikation für eine LILT oder ein STEP-Verfahren vorliegt, werden individuelle Faktoren des Patienten, wie das Alter, die gegenwärtige Anatomie des Darmes, der Ernährungszustand, die Leberfunktion sowie vorliegende Komorbiditäten in besonderem Maße berücksichtigt.

Nachbehandlung

Alle Patienten mit einem chronischen Darmversagen werden bei uns in einer strukturierten, multimodalen Nachsorge begleitet. Die wichtigsten Komplikationen bei Kindern und Jugendlichen mit Kurzdarmsyndrom wie gastrointestinale Komplikationen, Gedeihstörungen, Leber- und Stoffwechselstörungen, Nephro- und Osteopathie müssen dabei überwacht werden.

Kontakt Kurzdarmchirurgie

Prof. em. Dr. Lucas Wessel

Donnerstag 08:30 - 14:30 Uhr

Erstberatung oder Zweitmeinung
E-Mail lucas.wessel@remove-this.umm.de 
Telefon 0621/383-5574


Publikationen unserer Mitarbeiter

  • Waag K-L, Hosie S, Wessel L: What do children look like after longitudinal intestinal lengthening? Eur J Pediatr Surg (1999) 9: 260-262
  • Kohl M, Wessel LM: Langzeitparenterale Ernährung bei Kindern mit Kurzdarmsyndrom. Pädiatr Prax (2005) 66: 285-294
  • Reinshagen K, Adams R, Trunk M, Wessel LM: The chronic liver disease in patients with short bowel syndrome: etiology and treatment. Minerva Pediatr. 2009 Jun;61(3):273-81
  • Krawinkel MB, Scholz D, Busch A, Kohl M, Wessel LM, Zimmer KP: Chronic intestinal failure in children. Dtsch Arztebl Int (2012) 109(22-23):409-15
  • Khasanov R, Wessel LM, Schäfer KH: Role of enteric nervous system in tissue-engineering of functional muscle layer of the gut in short bowel syndrome. Neurogastroenterology and Motility, August 2018. Volume 30, Issue S1:169-169
  • DeLaffolie J, Sheridan D, Reinshagen K, Wessel L, Zimmermann C, Stricker S, Lerch MM, Weigel M, Hain T, Domann E, Rudloff S, Nichols BL, Naim HY, Zimmer KP: Digestive enzyme expression in the large intestine of children with short bowel syndrome in a late stage of adaptation. The FASEB Journal 2020;34:3983-95
  • Nagelkerke SCJ, Poelgeest MYV, Wessel LM, Mutanen A, Langeveld HR, Hill S, Benninga MA, Tabbers MM, Bakx R: Bowel Lengthening Procedures in Children with Short Bowel Syndrome: A Systematic Review. Eur J Pediatr Surg. 2022 Aug;32(4):301-309. doi: 10.1055/s-0041-1725187. Epub 2021 Mar 4. PMID: 33663008
  • DeLaffolie J, Wessel LM, Kohl-Sobania M: Die Entstehung und Therapie des Kurzdarmsyndroms bei pädiatrischen Patienten (2023 in press)

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